Das Buch „Bye Bye Berlin“ setzt sich mit dem Erwachsenwerden, den Folgen der Wende und dem Leben in Ost und West nach der Wiedervereinigung. Die Geschichte spielt in Berlin 1995. Die Hauptprotagonistin Nadja kämpft mit vielen Problemen. Ihre Mutter hat sie und ihren Vater quasi verlassen, da sie in Hamburg, im „Westen“, ein Jobangebot bekommen hat, ihr Vater und sie wollen jedoch nicht Berlin, den „Osten“ verlassen. Mit der Trennung und der Wiedervereinigung scheint Nadjas Vater nicht zurechtzukommen. Auch in seinen Job als Fotograf kann er nicht mehr zurückkehren, da niemand mehr seine Fotos kaufen möchte. Dadurch flüchtet er sich in den Alkohol, worunter zum einen Nadja leidet und zum anderen das Geld für die Miete nicht mehr beglichen werden kann. Doch viel schlimmer ist, dass Nadja nicht mit ihrem Vater und ihrem Freund Timm in den Urlaub fahren kann, denn dafür ist leider auch kein Geld mehr da.
Nadja hat in dieser Geschichte viel zu durchleben. Dadurch, dass Nadjas Mutter nun nicht mehr da ist, fühlt sich Nadja verantwortlich für ihren Vater zu sorgen und sich um ihn zu kümmern. Allerdings ist sie besonders über den Ausfall der Reise, auf die sie sich sehr gefreut hat, mehr als enttäuscht. In gewisser Weise gibt sie ihrem Vater die Schuld dafür, andererseits entschuldigt sie das Verhalten ihres Vater jedes Mal. Als sie nun die Wohnung aufräumen möchte, wirft sie vor lauter Wut mehrere Kartons mit Fotografien ihres Vaters aus dem Fenster und verbrennt diese. Auch auf den Vorschlag einen neuen Job anzunehmen, reagiert ihr Vater kühl und äußert, dass er es besser finden würde, wenn Nadja zu ihrer Mutter nach Hamburg ziehen würde. Die Hilfe ihrer Freunde möchte sie nicht annehmen und reagiert sehr gereizt auf gut gemeinte Vorschläge. Als sie versucht es selber in die Hand zu nehmen, reagiert ihr Vater abweisend und schießt sich in seiner Dunkelkammer ein. Die Lage spitzt sich allerdings zu, als sie ihren Vater in einer Kneipe wütend anbrüllt, da er das Geld ihrer Mutter für die Miete und allgemeine Verpflegung für Alkohol ausgibt. Als die Mutter sie nach diesem Vorfall besucht, nimmt sie ihren Vater trotz der Situation in Schutz und legt sich mit ihrer Mutter an. Nadja versucht die Situation mit dem Jugendamt alleine zu klären, sie versucht Geld zu verdienen, indem sie Fotos macht und möchte die Wohnung wieder neu herrichten. Dennoch eskaliert letztendlich die Situation zwischen ihr und ihrem Vater, da dieser plötzlich verschwindet. Nachdem sie die Hilfe ihrer Freunde annimmt, stellt sie mit diesen eine tolle Sache auf die Beine, damit sie genug Geld verdienen, um die Miete doch noch bezahlen zu können.
Wie ihr merkt, ist die Grenze zwar Vergangenheit und Deutschland wieder eins, dennoch galt diese Denkweise nicht für alle Bürger*innen zu dieser Zeit. Viele vermissten die Teilung, so komisch sich das auch anhört. Für eine Vielzahl an Menschen war die DDR ihr geliebtes Zuhause und sie fühlten sich nich wohl damit, dass nun alles anders sein sollte.
Nadjas Vater war einer davon. Mit der Wiedervereinigung verlor er sein Zuhause und seine Frau. Dennoch schaden die Entscheidungen, die Nadjas Eltern treffen. Das Erwachsenwerden ist ein Prozess, welcher sich über einen längeren Zeitraum vollzieht. Bei Nadja verläuft dieser schnell, vielleicht schneller als ihr lieb ist. Sie leidet zunehmend unter den Situationen, welche sich ereignen. Dabei bleibt ihr oft keine Zeit ihre Ferien zu genießen und an nichts zu denken. Sie setzt sich mit Themen auseinander, mit denen sie in ihrem Alter noch nicht konfrontiert wurde oder werden sollte. Zudem scheinen sich ihre Probleme sehr auf ihre Psyche und Lebenswelt auszuwirken. Anhand der Ich-Perspektive können die Leser*innen genau mitverfolgen, was in Nadjas Kopf vor sich geht. Sie ist unglaublich unglücklich mit ihrem Leben Sie hält an ihrem Vater fest, den sie über alles liebt und dem sie alles verzeiht. Natürlich möchte sie sich um ihn kümmern und für ihn sorgen, so wie er es ihr Leben lang getan hat. Zunehmend schämt sie sich für das Leben was sie führt und bemerkt, dass ihr Vater keinen großen Beitrag dazu leistet, dass es besser wird. Auch wenn es das Land nicht mehr gibt, so lebt es in ihrem Vater trotzdem weiter. Nadja scheint viel mehr zu verstehen, als andere Jugendliche in ihrem Alter. Sie fühlt mich ihrem Vater mit, geht erwachsen mit den Situationen um, die sich ereignen, möchte Geld verdienen, versteht, dass es ohne die Miete nicht weitergehen kann und begreift, dass der Alkoholkonsum nicht mehr gesund für ihren Vater ist. Zudem ist ihr klar, dass es nun nicht mehr wichtig ist was man gern macht, sondern was getan werden muss.
Auch ihre Freunde haben viel Verständnis für sie. Sie verstehen die Lage in der sich Nadja befindet und wollen ihr um jeden Preis helfen. Dennoch ist Nadja sehr aufbrausend und gereizt. Dies liegt an der Überforderung. Sie wünscht sich nichts mehr als einen starken Rückhalt, der ihr ermöglicht sich keine Sorgen mehr machen zu müssen. Für sie war es keine Frage erwachsen zu werden und Verantwortung zu übernehmen, es war für sie klar. Allerdings wenden sich Nadjas Freunde nie von ihr ab. Im Gegenteil, sie lassen sich auch von ihrer Art nicht davon abbringen ihr zu helfen. Dennoch erscheint Nadja zu Stolz um Hilfe anzunehmen, obwohl sie sich eventuell auch einfach schämt und immer noch das Bild vor Augen hat, wo sie und ihre Eltern gemeinsam alles gemeistert haben.
Nadja scheint eine sehr starke Bindung zu ihrem Vater zu empfinden. Ihre Mutter ist für sie ebenfalls wichtig, dennoch hat sie ein Versprechen gebrochen, nämlich das Land nicht zu verlassen, sofern Nadja oder ihr Vater in Gefahr geraten. Für Nadja ist ihre Mutter einfach gegangen und hat sie allein gegangen, obwohl sie wusste, wie viel ihrem Vater an ihr liegt. Nadja steht jederzeit für ihren Vater ein und beschützt ihn. Zudem gibt sie sich für das Verhalten ihres Vaters die Schuld, da sie das Verbrennen der Fotos als eine Art Vertrauensbruch sieht. Als ihr Vater dann verschwindet, ähneln ihre Gedankengänge die einer Mutter. Auch die Handlungen die sie vollzieht scheinen sich immer darauf zu konzentrieren, dass ihr Vater stolz auf sie ist und bemerkt, dass er ihr wichtig ist und sie nie enttäuscht von ihm wäre.
Nadjas Entwicklung lässt sich im Buch durch die Perspektive sehr gut nachvollziehen. Hintergrundinformationen gibt es eher wenige, doch die Geschichte kommt auch gut ohne aus. Es geht dabei mehr um das Jetzt. Nadja scheint die Entwicklung nicht erst zu Beginn des Buches gemacht zu haben, doch rasant verändert sie sich, als sie sich dazu entschließt Hilfe anzunehmen. Sie bemerkt, dass Zusammenhalt sehr wichtig ist, um schwere Phasen zu überstehen. Trotzdem ist es ihr nicht möglich, sich unter solchen Bedingungen normal zu entwickeln. Ihre eigenen Entscheidungen sind nicht frei, sondern mit dem Gedanken an ihrem Vater im Hinterkopf. Allgemein dreht es sich sehr oft darum, was ihr Vater tut. Doch diese Ansicht und gewisse Abhängigkeit hat sich Nadja selbst angeeignet, vielleicht auch, weil sie Angst hat auch ihn zu verlieren. Dabei gibt sie sich für vieles die Schuld und hält sich für Dinge verantwortlich, obwohl ihr Vater der Mensch ist, der nicht vom Ideal loslassen kann. Für ihn war die DDR und die Familie alles und nun scheint dies zerstört worden zu sein. Jedoch schafft es Nadja sich von ihrer Verbissenheit alles allein schaffen zu wollen, abbringen zu lassen und zu erkennen, dass sie sich noch nicht auf diesen Pfad des erwachsen seins begeben muss.
Petra Kasch beschreibt eine Situation die unter diesen Umständen wohl noch nicht viele Leser*innen erlebt haben. Es ist deshalb schwierig sich mit der Protagonistin zu identifizieren, da ihre Handlungen oft egoistisch und übertrieben wirken. Aus diesem Grund sollte sich mehr in die Situation eingefunden werden, was für einen Jugendroman eventuell schwierig sein könnte. Die Folgen der Wende werden hierbei sehr gut dargestellt, indem sie sich auf das Leben der Protagonistin unmittelbar auswirken. Die Familie wurde zerrissen und ihr Vater kommt mit der Situation der Wiedervereinigung und dem damit verbunden Problemen nicht mehr klar und stürzt sich in den Alkohol. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten akzeptiert Nadja die Situation im Verlauf des Buches und gibt sich mit den Freunden zusammen Mühe, daraus das Beste zu machen. Als sie akzeptiert, dass sie auch ohne den Rückhalt ihrer Familie aus scheinbar unlösbaren Problemen rausfindet, hat sie sich mental bereits von ihren Eltern abgekapselt und einen eigenen Weg gefunden. Der Titel unterstreicht diese Vermutung, da sie sich von einem alten Leben verabschiedet und bereit für neue Wege ist. Sie ist an den Aufgaben gewachsen und hat auch ein neues Talent gefunden. Diese Verknüpfung schien auch eher unscheinbar aufzutreten, dennoch werden Probleme und Situationen geschildert, die eventuell nicht viele Leser*innen erlebt haben. Dennoch wird ein wichtiger Schritt dabei wieder deutlich, nämlich, dass Zusammenhalt und Vertrauender Schlüssel zum Glück sein können.
– Mia
Für die Bearbeitung des Beitrags habe ich Literatur herangezogen:
https://www.grin.com/document/81784 letzter Zugriff am 08.07.2020
Kuschliges Mauerfall und Wende
Kasch, Petra: Bye-Bye, Berlin. Ravensburger Buchverlag 2009